Es gibt Orte, bei denen man sich fragt, wie sie es überhaupt geschafft haben, dem Verschwinden zu entkommen. Pian del Poggio ist so ein Ort. Eine dieser kleinen Retortensiedlungen, wie sie in Italien in den Sechziger- und Siebzigerjahren zu hunderten aus dem Boden gestampft wurden, mit Sessellift, Skiliften, Pisten, Ferienwohnungen. Und dann kamen die Jahrzehnte. Und das Vergessen. Dass hier überhaupt noch etwas läuft, ist ein kleines Wunder. Die Skilifte sind längst stillgelegt, die Gebäude zeigen Spuren der Zeit, doch der Sessellift lebt noch. Vermutlich auch nur deshalb, weil er im Sommer für den Bikebetrieb genutzt wird. Und was im Sommer läuft, das könnte ja eigentlich auch im Winter laufen. Bloss wie findet man das heraus?
Willkommen in Italien, in einem Land, in dem die Informationslage rund um kleine Skigebiete so klar ist wie die Sicht bei starkem Schneesturm. Die Webseite von Pian del Poggio lag mit Events und Preisen von 2019 in einer Art Wachkoma, ohne irgendeinen aktuellen Hinweis auf Skibetrieb. Alles deutete darauf hin, dass man hier ebenfalls Corona zum Opfer gefallen war. Die sozialen Medien lieferten immerhin sporadische sommerliche Bikebilder, doch das muss noch lange nichts heissen. Vielleicht war hier die strategische Wende zum reinen Sommerbetrieb längst vollzogen.
Und dann war da nach Neuschnee diese eine Pistenbullyspur auf der Webcam. Von der Talstation hinauf in den Nebel. Hoffnung ist ein seltsames Gefühl, besonders wenn sie sich an einer einzelnen Raupenspur festkrallt. Etwas später folgten eine zweite, dritte und vierte Spur. Frisch präpariert und erneut auf der Kamera in Echtzeit zu erkennen. Der Moment war gekommen, Pian del Poggio rückte in den Fokus. An einem kalten Freitagabend wurde der Entschluss gefasst, am Samstagmorgen früh an der Talstation zu stehen. Ohne Garantie, ob der Lift tatsächlich laufen würde. Ein Hauch von Abenteuer begleitete die Fahrt in den entlegensten Zipfel der südlichen Lombardei, unmittelbar an der Grenze zur Emilia-Romagna und dem Piemont.
Und dann tatsächlich, frühmorgens präsentierte sich die Piste gewalzt, der Lift noch stumm. Um die Talstation bewegten sich rund ein Duzend Personen, offenbar alles Personal, schaufelten Schnee und stellten Pistenpfosten auf. Ein herrlich verschlafenes Durcheinander. Jedenfalls mehr Personal am Lift als Autos auf dem Parkplatz, hier musste etwas im Busch sein. Die Suche nach der Kasse führte zunächst ins Restaurant, von dort wieder zurück zur Bahn. In aller Ruhe wurde dort irgendwann die Kasse hochgefahren, kurz gerätselt, wie man nun ein Skiticket ausstellt, vermutlich seit Jahren nicht mehr gemacht. Und dann geschah es, die ersten beiden Tageskarten der Saison wurden gedruckt, wobei nur eine davon bezahlt werden musste. Das erste Ticket der Saison war aufs Haus, die Freude beim Liftpersonal kaum zu übersehen. Willkommen zurück im Winter, Pian del Poggio!
Als erste Skifahrer seit vermutlich vier Jahren schwebte man in der nostalgischen Sesselbahn Richtung Monte Chiappo. Die Piste jungfräulich, der Sessel eiskalt, die Stimmung irgendwo zwischen skurril und erhaben. Die Sesselbahn ist rund einen Kilometer lang und überwindet etwa 330 Höhenmeter. Eine Mittelstation ermöglicht den Ausstieg zum unteren Sektor. Insgesamt zwei Hauptabfahrten stehen zur Verfügung, eine relativ direkte rote Abfahrt und eine weite blaue Aussenrumpiste. Im unteren Bereich verzweigen sich beide nochmals und bieten einige kleine Varianten. Die Pisten selbst sind keine Sensation, aber solide. Die Präparation war überraschend gut, man hatte sich sichtlich Mühe gegeben. Dank des frischen Neuschnees präsentierte sich der Untergrund weich und angenehm zu fahren. Zwischendurch zogen Nebelschwaden über den Hang, liessen das Gelände in mystischer Stimmung verschwimmen und sorgten für eine beinahe gespenstische Atmosphäre. Der Blick ins Tal war nur schemenhaft zu erahnen, doch selbst das reichte aus, um das Panorama zu erahnen, das sich bei wolkenlosem Himmel hier offenbaren müsste.
Es war mal wieder ein Skitag von jener Sorte, die sich still und nachhaltig ins Gedächtnis brennen. Selbst wenn man hie und da das Gefühl hatte, dass die Infrastruktur mehr Erinnerung als Realität ist, überwog doch das Staunen darüber, dass der Lift überhaupt noch lief, dass Spuren in frisch präparierten Schnee gezogen werden konnten und die Mitarbeitenden mit spürbarer Freude die ersten Tickets der Saison ausstellten. Ein Saisonstart am Monte Chiappo, der nicht lauter hätte sein müssen. Sondern genau so. Ganz leise, besonders und irgendwie unglaublich. Der Apennin beginnt zu flüstern.
Pistenplan Pian del Poggio
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