Pian del Poggio | Der Apennin beginnt zu flüstern

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Graubündenfan
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Pian del Poggio | Der Apennin beginnt zu flüstern

Beitrag von Graubündenfan »

Dezember 2024

Es gibt Orte, bei denen man sich fragt, wie sie es überhaupt geschafft haben, dem Verschwinden zu entkommen. Pian del Poggio ist so ein Ort. Eine dieser kleinen Retortensiedlungen, wie sie in Italien in den Sechziger- und Siebzigerjahren zu hunderten aus dem Boden gestampft wurden, mit Sessellift, Skiliften, Pisten, Ferienwohnungen. Und dann kamen die Jahrzehnte. Und das Vergessen. Dass hier überhaupt noch etwas läuft, ist ein kleines Wunder. Die Skilifte sind längst stillgelegt, die Gebäude zeigen Spuren der Zeit, doch der Sessellift lebt noch. Vermutlich auch nur deshalb, weil er im Sommer für den Bikebetrieb genutzt wird. Und was im Sommer läuft, das könnte ja eigentlich auch im Winter laufen. Bloss wie findet man das heraus?

Willkommen in Italien, in einem Land, in dem die Informationslage rund um kleine Skigebiete so klar ist wie die Sicht bei starkem Schneesturm. Die Webseite von Pian del Poggio lag mit Events und Preisen von 2019 in einer Art Wachkoma, ohne irgendeinen aktuellen Hinweis auf Skibetrieb. Alles deutete darauf hin, dass man hier ebenfalls Corona zum Opfer gefallen war. Die sozialen Medien lieferten immerhin sporadische sommerliche Bikebilder, doch das muss noch lange nichts heissen. Vielleicht war hier die strategische Wende zum reinen Sommerbetrieb längst vollzogen.

Und dann war da nach Neuschnee diese eine Pistenbullyspur auf der Webcam. Von der Talstation hinauf in den Nebel. Hoffnung ist ein seltsames Gefühl, besonders wenn sie sich an einer einzelnen Raupenspur festkrallt. Etwas später folgten eine zweite, dritte und vierte Spur. Frisch präpariert und erneut auf der Kamera in Echtzeit zu erkennen. Der Moment war gekommen, Pian del Poggio rückte in den Fokus. An einem kalten Freitagabend wurde der Entschluss gefasst, am Samstagmorgen früh an der Talstation zu stehen. Ohne Garantie, ob der Lift tatsächlich laufen würde. Ein Hauch von Abenteuer begleitete die Fahrt in den entlegensten Zipfel der südlichen Lombardei, unmittelbar an der Grenze zur Emilia-Romagna und dem Piemont.

Und dann tatsächlich, frühmorgens präsentierte sich die Piste gewalzt, der Lift noch stumm. Um die Talstation bewegten sich rund ein Duzend Personen, offenbar alles Personal, schaufelten Schnee und stellten Pistenpfosten auf. Ein herrlich verschlafenes Durcheinander. Jedenfalls mehr Personal am Lift als Autos auf dem Parkplatz, hier musste etwas im Busch sein. Die Suche nach der Kasse führte zunächst ins Restaurant, von dort wieder zurück zur Bahn. In aller Ruhe wurde dort irgendwann die Kasse hochgefahren, kurz gerätselt, wie man nun ein Skiticket ausstellt, vermutlich seit Jahren nicht mehr gemacht. Und dann geschah es, die ersten beiden Tageskarten der Saison wurden gedruckt, wobei nur eine davon bezahlt werden musste. Das erste Ticket der Saison war aufs Haus, die Freude beim Liftpersonal kaum zu übersehen. Willkommen zurück im Winter, Pian del Poggio!

Als erste Skifahrer seit vermutlich vier Jahren schwebte man in der nostalgischen Sesselbahn Richtung Monte Chiappo. Die Piste jungfräulich, der Sessel eiskalt, die Stimmung irgendwo zwischen skurril und erhaben. Die Sesselbahn ist rund einen Kilometer lang und überwindet etwa 330 Höhenmeter. Eine Mittelstation ermöglicht den Ausstieg zum unteren Sektor. Insgesamt zwei Hauptabfahrten stehen zur Verfügung, eine relativ direkte rote Abfahrt und eine weite blaue Aussenrumpiste. Im unteren Bereich verzweigen sich beide nochmals und bieten einige kleine Varianten. Die Pisten selbst sind keine Sensation, aber solide. Die Präparation war überraschend gut, man hatte sich sichtlich Mühe gegeben. Dank des frischen Neuschnees präsentierte sich der Untergrund weich und angenehm zu fahren. Zwischendurch zogen Nebelschwaden über den Hang, liessen das Gelände in mystischer Stimmung verschwimmen und sorgten für eine beinahe gespenstische Atmosphäre. Der Blick ins Tal war nur schemenhaft zu erahnen, doch selbst das reichte aus, um das Panorama zu erahnen, das sich bei wolkenlosem Himmel hier offenbaren müsste.

Es war mal wieder ein Skitag von jener Sorte, die sich still und nachhaltig ins Gedächtnis brennen. Selbst wenn man hie und da das Gefühl hatte, dass die Infrastruktur mehr Erinnerung als Realität ist, überwog doch das Staunen darüber, dass der Lift überhaupt noch lief, dass Spuren in frisch präparierten Schnee gezogen werden konnten und die Mitarbeitenden mit spürbarer Freude die ersten Tickets der Saison ausstellten. Ein Saisonstart am Monte Chiappo, der nicht lauter hätte sein müssen. Sondern genau so. Ganz leise, besonders und irgendwie unglaublich. Der Apennin beginnt zu flüstern.


Pistenplan Pian del Poggio

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Re: Pian del Poggio | Der Apennin beginnt zu flüstern

Beitrag von Skifahrer »

Danke für den genialen Bericht mit den schönen Bildern! Da scheint ja eine herrliche Winterstimmung gewesen zu sein, und wenn sich so über Gäste gefreut wird, ist das auch schön! :D
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Re: Pian del Poggio | Der Apennin beginnt zu flüstern

Beitrag von trainrunner »

Oh wow! Wie genial geschrieben😍 Vielen Dank! Mein Ticket 0001 habe ich als Erinnerung an diesen Traumtag gut aufgehoben.
Diese einmalige Stimmung nach dem Superschneefall, welcher das Gebiet seit Jahren endlich wieder in diese mystische Winterlandschaft verwandelt hat, war einfach unbeschreiblich.
Ein Gefühl, welches ich nie mehr vergessen werde.
Nur schon die eeewig lange Anfahrt mit den gefühlt 1000 Kurven, war ein Highlight.
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Re: Pian del Poggio | Der Apennin beginnt zu flüstern

Beitrag von Harzwinter »

Wie seid Ihr denn auf das Gebiet überhaupt gekommen? Über die Openskimap? Das findet man sonst ja gar nicht erst, wenn man es nicht schon vorher von einem Sommerbesuch auf dem Schirm hatte. ;)
Die erste Party gab es sicherlich noch vor dem Einschalten des Lifts, als die Pistenraupe ansprang. :lol:
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Re: Pian del Poggio | Der Apennin beginnt zu flüstern

Beitrag von Graubündenfan »

Harzwinter hat geschrieben: 14.10.2025, 14:01 Wie seid Ihr denn auf das Gebiet überhaupt gekommen? Über die Openskimap? Das findet man sonst ja gar nicht erst, wenn man es nicht schon vorher von einem Sommerbesuch auf dem Schirm hatte. ;)
Die erste Party gab es sicherlich noch vor dem Einschalten des Lifts, als die Pistenraupe ansprang. :lol:
Vermutlich ja! 😂

Die eigentliche Story dahinter ist, dass Forenkollege trainrunner drei Tage zuvor gesehen hatte, dass dort unten überraschend viel Schnee gefallen war. Wir haben dann zwei Abende lang alle (!) Skigebiete auf Openskimap in der Region durchgegangen und versucht herauszufinden, was wohl öffnen könnte und was nicht. Sicher waren wir schlussendlich nur bei den drei grösseren Gebieten Abetone, Corno alle Scale und Cimone, da diese den Betrieb auf ihrer Webseite oder in den sozialen Medien kommuniziert hatten. Alles andere lag einfach mehr oder weniger am Weg und war ein kleines Abenteuer mit ungewissem Ausgang. Am Ende hatten wir Glück, denn überall dort, wo wir auf einer Webcam oder sonst irgendwo ein Indiz für möglichen Betrieb fanden, lief tatsächlich auch der Skibetrieb.

Ganz ohne Frust war die Recherche aber nicht. Viele der kleinen Gebiete im Apennin sind inzwischen stillgelegt, und man stösst oft weder auf aktuelle Webseiten noch auf sonstige Hinweise. Da hilft auch die sonst so hilfreiche Openskimap nicht weiter, weil die Informationslage in dieser Region generell sehr dürftig ist. Dazu kommt, dass einige Gebiete trotz Schnee nicht öffnen konnten, weil sie keine behördliche Bewilligung mehr erhielten. Nach den Schneefällen hatten plötzlich viele gleichzeitig ein Gesuch gestellt, und die Behörden kamen mit den Anträgen schlicht nicht mehr nach.

Alles in allem also ziemlich schwierig und unklar dort unten, aber genau das macht es irgendwie auch spannend. Umso schöner, wenn es dann tatsächlich klappt und man am Ende wirklich Skifahren kann.
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Re: Pian del Poggio | Der Apennin beginnt zu flüstern

Beitrag von Skitobi »

Wow, der Bericht wurde beim Lesen immer besser!
Schon cool dass ihr bei der Informationslage direkt am ersten Betriebstag bereit steht!
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Re: Pian del Poggio | Der Apennin beginnt zu flüstern

Beitrag von intermezzo »

Da bleibt einem die Spucke weg. Genau eine solche Tour wollte ich mal vor zwanzig Jahren machen. Kleinstgebiete im Piemont und in den Appenninen abgrasen bwz. abfahren. Leider, leider ist daraus nie etwas geworden. Bereue ich noch heute.

Umso schöner, wenn man dann 20 Jahre später einen derart schönen, teilweise fast schon poetischen Bericht über ein Old-school-Skigebiets-Kleinod in der italienischen Pampa vorgesetzt bekommt. Und dann noch diese herrlichen Bedingungen: genug Schnee, keine Leute. Kurz: der Hammer.
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Re: Pian del Poggio | Der Apennin beginnt zu flüstern

Beitrag von Schneegott »

Wahnsinn! einfach nur genial und mega spontan so weit zu fahren ist nicht für jeder man.
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